vom: 07. Juli 2014, 10:59:42 »
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Tatsaechlich !
Kollege @ Suksabai und Frau Kollegin @ Friida hatten den richtigen
Riecher.
Die folgende Geschichte behandelt der Wiener Zentralfriedhof.
Was kann daran so interessant sein,dass man darueber etwas schreibt?
Es sind die kleinen Facetten,die ein zeitgeschichtliches Zeugnis ablegen,wie
man mit dieser Materie umgegangen ist.
1863 schon beschloss der Wr.Gemeinderat einen "Zentralfriedhof" zu errichten,da
die Kapazitaet der "innerstaedtischen" Friedhoefe bald erreicht sein wird. Zudem
rechneten die Stadtentwickler damit,dass Wien bis zum Ende des 20 Jhd. 4 Mio Ein-
wohner haben wird.
Also wurde,nach Ueberpruefung des Bodens, ein 2,5 km2 grosses Gelaende am sued-
oestlichem Rande angekauft.Von der Innenstadt gut 12 km entfernt,an der alten Reichs-
strasse nach Budapest gelegen.
Dieses Strassenstueck nennt sich Simmeringer Hauptstrasse und war damals von eben-
erdigen Haeuser gesaeumt,welche von Kleingewerbetreibende und Bauern bewohnt wurden,
unterbrochen von "Gstaetten" und Feldern.
Die Stadtvaeter sahen vor,den Friedhof als interkonfessionale Anlage zu betreiben.Also er
solle fuer alle religioese Gruppierungen offen sein.
Dieses Ansinnen rief sofort bei der r.k.Kirche Protest hervor und man drohte,das Friedhofs-
gelaende nicht einsegnen zu wollen zumal auch bekannt wurde,dass die juedische Gemeinde
sich durch Zahlung eines hohen Geldbetrages,quasi eingekauft hatte.
Schliesslich konnte der Kardinal Rauscher doch ueberredet werden,eine Einsegnung vorzu-
nehmen.Genau am Tag vor der offiziellen Eroeffnung,(1.November 1874)so gegen 4 h frueh bestieg der Herr
Kardinal seinen Einspaenner,fuhr zum Friedhof und segnete unter Ausschluss jeder Beobachtung
das Gelaende ein.
Der neue Friedhof war trostlos,die Vegetation schuetter,die fuer eine Friedhofsanlage not-
wendigen Bauten noch nicht fertig und entlang der Simmeringer Hauptstrasse war ein
endloser Zug an Pferdefuhrwerke unterwegs,die die Leichen der Verstorbenen zum Friedhof
brachten.
Die ununterbrochene Erinnerung an das menschliche Ende,schlug sich bei den Anwohnern der
Simmeringer Hauptstrasse aufs Gemuet- sie waren hoechst ungluecklich.Ebenso jene Familien-
angehoerige,die nur auf beschwerlichen und zeitraubenden Weg,ihren Verstorbenen die letzte
Ehre erweisen konnten.
Die Stadtvaeter nahmen die Beschwerden ernst und da oberdrein,damals als die Winter noch
Winter waren,die Pferdefuhrwerke oftmals stecken blieben,sann man auf alternative Leichen-
transporte umzusteigen.
Die herausragenste Idee war,einen kilometerlangen Tunnel zu graben und die Saerge in einer
Art Rohrpost pneumatisch zum Friedhof zu befoerdern.
Da daraus nichts wurde blieb es bis 1918 beim Pferdetransport.Erst ab da an verwendete man
den 71er der zu diesem Zweck 3 eigene Waggons hatte und die Toten bei nachts fuhr.
Um die Attraktivtiaet des Friedhofs zu erhoehen,wurden betraechtliche Geldmittel aufgewendet.
Gebaeude und Kirche sind heute Juwelen des Jugendstils,die Wege im Friedhofsbereich saeumen
Alleebaeume,alles ist gepflegt und hat grosse Aehnlichkeit mit einem Park.
Den Friedhof kann man mit eigenem Fahrzeug befahren und vor dem Friedhofsgelaende findet
man alles,was man zur Ausgestaltung einer "schoenen Leich" braucht.
Steinmetze,Gaertnereien und ganz wichtig,geraeumige Gaststaetten fuer den Leichenschmaus.
Nicht nur die Verstorbenen fuehlen sich dort wohl,auch allerlei Getier,darunter 20 Rehe ,die von
einem eigens abgestellten Foerster betreut werden.
Am Friedhof sind alle gleich,heisst es ! Irrtum- nicht am Zentralfriedhof.
Da gibt es die Praesidentengruft,da gibt es eine Reihe von Ehrengraeber aber auch der Normal-
tote versucht sich abzuheben.Da ist dann auf dem Grabstein zu lesen,dass der Innlieger ein
Dr.Dr. Ing. war, Generaldirektor einer namentlich angefuehrten Firma oder einfach nur "Haus-
besitzer und Seidenfabrikant.
Es ist jetzt gut schon 20 Jahre her,als ich an einem Begraebnis am Zentral teilnahm.
Der gute Franz hatte den 71er genommen.
Immer habe ich bei solchen Anlaessen Pech. Entweder ist es saukalt oder drueckend heiss.
Jener Tag war wohl der heisseste Tag im Jahr.Da es sich nicht schickt,im luftigen Hawaii Hemd
zu erscheinen,sondern man Anzuege in Schwarzschattierungen traegt,dauert es nicht lange,
bis einem der Schweiss nicht nur von der Stirne rinnt,sondern auch vom Nacken an, den Ruecken
hinablaeuft.
Sehnsuechtig wartet man darauf,dass der Grabredner seine Luegen beendet und die Vision von
einem kalten Bier verfestigt sich von Minute zu Minute.
Der Verstorbene hatte ein langes Leben hinter sich und so war auch die Schilderung dieses,endlos.
Der Grabredner erzaehlte,dass der Verstorbene schon als junger Ehemann zur Marine eingezogen
wurde,in Norwegen bis Ende des Kriegs dort stationiert war und als er danach wieder in Wien war,
von seiner Frau,einem Knaben und dessen Halbschwester begruesst wurde.
Die harte Nachkriegszeit verhinderte,dass jemand ein Zeit-Weg-Diagramm erstellte und spaeter
verlor niemand mehr ein Wort daruber,dass Sohn und Tochter sogar nichts vom " Vater"mitbekommen
haben.
Endlich nachdem der Pfarrer schon 3x verstohlen auf seine Uhr geblickt hatte,endete die Grabrede.
Schnell noch eine Schaufel Erde auf den Sarg und schon strebte alles dem Ausgang zu.
Der Leichenschmaus fand im gegenueber dem Eingangstor liegenden Gasthaus statt.Ich war dazu
eingeladen und konnte zu meiner Verblueffung feststellen,wie schnell sich doch eine Stimmung
drehen kann.
3 Vierterln vom "Bruennerstrassler" oder 5 grosse Biere fuer jeden und die Stimmungslage erreicht das
Niveau,das am Auszahlungstag des Sparvereines beim Wirten am Eck,knapp vor Weihnachten
vorherrschend ist.
Leichenschmaeuse sind aber wichtig und fuehren dazu,den Hinterbliebenen klarzumachen,dass
das Leben auch nach einem Trauerfall weitergeht.
Wo das " Leben weitergegangen" ist kann man daran erkennen,dass man das am Grabstein eingravierte
"Unvergessen"nur dann lesen kann,wenn man das meterhohe Unkraut zur Seite biegt.
Jock