vom: 19. Oktober 2020, 10:33:18 »
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Der Weg zum Staatsvertrag 1955
In ein paar Tagen jaehrt sich der 65. Gedenktag,an dem der letzte Soldat der Besatzungs-
maechte Oesterreich verliess und das oesterreichische Parlament die immerwaehrende
Neutralitaet beschloss.
Bis dahin war es ein laengerer Weg,der nach meinen persoenlichen Erinnerungen am
15.April 1955 fuer mich begann.
Hoch droben im Waldviertel war es spaeter Nachmittag geworden und der Abend wird
milde sein.
Meine Grossmutter,ihre Tochter und ich sassen auf der Bank vor dem Schuppen,als der
Onkel mit seinem Fahrrad ankam, sich beim Abstieg verhedderte,weil sein Hosenbein sich
an der Fahrradkette verhakte und er beinahe stuerzte.
"De Russen ziagn o"! und nochmals "De Russen ziagn o"! rief er".
"Geh,wo host denn des her"? antworteten die Frauen."Jo,grod haums es im Radio g'sogt",
berichtete er mit aufgeregter Stimme.
Waehrend der Tante der Mund offenblieb,blieb Grossmutter pragmatischer,und meinte
"wer wass,obs wohr is"und hackte gleichzeitig einem Huhn den Kopf ab.
Ich war damals 11 Jahre alt und beteiligte mich nicht an der darauffolgenden Diskussion.
Das bevorstehende schulfreie Wochenende war wichtiger.
Eigentlich war die Radiomeldung,die der Onkel hoerte,schon ein alter Hut.Denn die Wiener
konnten,wegen einer voreiligen Diskretion,es schon in der Frueh lesen.
Am Vorabend war der Staatsvertrag im Prinzip ausverhandelt und sollte auch gleich von der oesterreichischen Delegation unterschrieben werden.
Da es aber in Moskau bereits nach 21 Uhr war,weigerte sich der Vizekanzler Schaerf das
Dokument zu unterschreiben,weil er prinzipiell nach 21 h nichts mehr zu unterschreiben
pflegte.
Man einigte sich darauf,erst naechsten Tag zu unterzeichnen,auch um dem Vorwurf,die
Russen haetten die oesterreichische Delegation unter Alkoholeinfluss genoetigt,zu ent-
kraeftigen.
Kanzler Raab hatte allerdings bereits eine Meldung nach Wien gegeben,dass der Vertrag
unterzeichnet sei,was auch in den Printmedien zu lesen war.
Die Einladung aus Moskau,Verhandlungen ueber den Staatsvertrag aufzunehmen,kam
ueberraschend und stiftete zunaechst Verwirrung.
Man war sich nicht sicher,ob es sich vielleicht um eine diplomatische Falle handelt.In dem
Fall ist es besser eine niederrangige Delegation zu senden,damit die Blamage nicht an
der Spitze der Regierung haengen bleibt.
Erst nach Konsultation mit der schwedischen Regierung,die den Oesterreichern steckte,
dass eine entschluesselte Funkmeldung der Sowjets ergab,dass ein Abschluss eines
Staatsvertrages ernst gemeint ist,entschloss man sich eine "grosse" Delegation zu senden.
Kanzler,Vizekanzler,Aussenminister und Staatssekretaer,plus Berater mussten schnell
nach Moskau gebracht werden.
Dabei gab es ein kleines Problem.Oesterreich verfuegte nicht ueber ein so grosses Zivil-flugzeug.Die Sowjets sprangen ein und stellten ihren Regierungsflieger zur Verfuegung.
Und was fuer einen.
Perserteppiche auf dem Boden,Wandteppiche an den Waenden,bequeme Fauteuis und
Wodkas in Kristallkaraffen.Auch die Bordkueche bot Leckeres von der russischen Kueche.
Von Bad Voeslau aus,25 Km suedlich von Wien,startete die Reise.Als das Flugzeug anrollte,
staunten die Delegationsmitglieder,weil die Flugzeugtuere so lange offenblieb,bis sicher
war,dass sich der Flieger tatsaechlich in die Luefte erhob.Erst dann wurde die Tuere ge-
schlossen.
In Moskau wurden sie mit ganz grossen Bahnhof erwartet.Alles was Rang und Namen
in der Diplomatie hatte,musste antreten.
Gardebattalionen defilierten,Hymnen und Marschmusik erklangen,die oestereichische
Flagge wehte im Wind.
Noch am selben Tag begannen die Verhandlungen,die fast ganz nach den Vorstellungen
der Oesterreicher abliefen.
Selbst die von den Russen geforderten 150 Mio$ wollte man akzeptieren,obwohl man
sich das Geld wohl von den Amerikanern haette ausleihen muessen.
Durch Verhandlungsgeschick konnte man das abbiegen,dafuer mussten in den naechsten
Jahren Lieferungen an die Sowjets durchgefuehrt werden.
Einzig bei der Formulierung ueber die Neutralitaet gab es unterschiedliche Auffassungen.
Da griff der Staatssekretaer Kreisky ein und verlangte eine Ausgabe des Vertrages vom
Wiener Kongress 1814/1815.Einige Wodka spaeter fand man ihn, und Kreisky las den Passus ueber die Formulierung der schweizerischen Neutralitaet vor.
Darueber fand man Uebereinstimmung und so wurde es auch im Vertrag vereinbart.
Nach Rueckkehr hatten die Oesterreicher genau 30 Tage Zeit,den Vertrag mit den anderen
Besatungsmaechten zu akkordieren.
Die leisteten keine besonderen Aenderungswuensche und holten ein paar Monate spaeter
ihre Flaggen von den Masten ein.
Fuer den 15.Mai 1955 war die Unterzeichnung des Vertrages festgesetzt.
Ein grosses Ereignis,was nicht ohne Aufregungen bzw. Skurrilitaeten ablief.
Davon in den naechsten Tagen.
Jock