vom: 30. Oktober 2019, 13:52:12 »
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Des Dachdeckers tiefer Sturz
Irgendwann im Fruehjahr 1984 rief mich mein oberster Chef an und teilte mir mit,dass er ein
Aviso bekam,dass die "Deutschen " 10.000.000 ATS anweisen wollen.
Und zwar fuer eine Anlage,die erst in einem Jahr vertragsgemaess zur Auslieferung vorge-
sehen war.
Er als Techniker fragte,ob er das Geld annehmen soll. Ich,als Kaufmann sagte : "Her damit"
und legte den Betrag als Festgeld an,weil unser Betrieb die Geldmittel nicht zum "Normal-
betrieb" benoetigte.
Die von ihm,der Westdeutscher war,als "Deutsche" bezeichneten,war die DDR gemeint und
damals dachten wir mit keinem Gedanken daran,dass in ein paar Jahren,die DDR untergehen
wird.
Immerhin war die DDR mittlerweile ein voelkerrechtlich anerkannter Staat,der in 180 ver-
schiedenen Laendern Botschaften eingerichtet hatte und als vertragstreu galt.
1989 war ich,wie jedes Jahr im Sommer fuer ein Wochenende am Plattensee.Es war ueblich,
dass wir es krachen liessen.
Beef Tartar zur Vorspeise,dann eine vorzueglich gekochte Hauptspeise und als Dessert,die
Qual der Wahl,Somlauer Nockerl oder Strudel.
Abends,der "Schwarze Zigeuner" spielte stirnnass " Schwarzer Zigeuner",auf deren Stirnen
20 ATS Noten klebten und der Krimsekt wie auch der Tokajer floss in Stroemen.
Im Hotel war eine Unzahl von Ostdeutschen Familien und Einzelpersonen,die ihren Jahres-
urlaub dort verbrachten und auf uns neidisch waren,wenn wir ihnen erzaehlten,dass wir unser-
en Haupturlaub in Griechenland,Spanien oder Italien verbracht haben,wovon sie nur traeumen
konnten.
Es war ein schoenes Wochenende und niemand von uns dachte daran,dass es ein heisser Herbst
werden wuerde.
Die erste "grosse" Fluchtbewegung gab es anlaesslich des "Paneuropaeischen Picknicks" am
12. August 1989.An die 600 - 700 Ostdeutschen "gelang" die Flucht.
Der Druck auf die Staatsfuehrung der DDR wuchs und wuchs.Die Menschen in der DDR wollten
eine Aenderung der Reisebestimmungen.
Die (West)deutsche Botschaft in Prag wurde ein "Auffanglager" fuer nichtrueckreisewillige
Ostdeutsche und es war eine diplomatischer Gratwanderung,die anstehenden Probleme,ohne
Gewaltanwendung zu loesen.
Zusammen mit den ersten Demonstrationen ( Wir sind das Volk) und der " Fluechtlingswelle"
geriet die Staatsfuehrung der DDR zunehmend zu der Ueberzeugung,dass nur radikale Aender-
ungen,die DDR retten konnte.
Im ZK der SED wussten einige Mitglieder,dass Erich Honecker als Bremser galt,den man aber
erst stuerzen muss,bevor man Reformen einleiten konnte.
Das war eine sehr heikle Angelegenheit,denn er war der erste und auch maechtigste Mann an
der Spitze.Doch er war alt und nach einer schwierigen Operation rekonvaleszent.
27 Mitglieder umfasste das Zentalkomitee der SED und keiner traute keinem.
In inspiritativ-vorsichtigen Gespraechen versuchten einige ZK - Mitglieder herauszufinden,auf
welcher Seite das jeweilig andere Mitglied stand.
7 - 8 Persoenlichkeiten,aber wichtige Amts- und Parteiinhaber fanden sich,und beschlossen den
Sturz Honeckers und hofften,dass auch andere,nichteingeweihte Mitglieder,sich dem Sturzge-
danken anschliessen werden.
16.Oktober 1989 in Wandlitz.
In der streng bewachten und abgeschlossenen Waldsiedlung hatte die Nomenklatura der DDR
ihre Wohnsitze.
Obwohl es dort vieles gab,wovon die normale Arbeiterklasse nur traeumen konnte,gemuetlich
war es dort nicht,trotz Schwimmbad,Tennisplaetze,kleine Klinik und einem Shop,wo die erlesen-
sten Waren aus dem Westen angeboten wurde.
Als ein neu hinzugezogener Bonze zum Einstand eine Grillparty veranstalten wollte,um gut -
nachbarliche Beziehungen herzustellen,erlebte er eine Ueberraschung.Die Party musste er ab-
sagen,weil niemand kommen wollte.
16.Oktober 1989 6 h am Morgen.
Zuerst wurde die Beleuchtung im Schlafzimmer Erich Honeckers eingeschaltet,dann brannte
das Licht im Badezimmer und Erich rasierte sich so sorfgaeltig,wie immer.
Auch im Schlafzimmer Margot Honeckers wurde das Licht eingeschaltet und etwas spaeter be-
gab man sich zum Fruehstueck ins Erdgeschoss,wo die Bedienung schon aufgelegt hatte.
Beide hatten keine Ahnung,dass die folgenden Stunden fuer ihr Leben einen katostrophalen ein-
schneidenden Lauf einleiten wuerden.
Mit dem Lieblingsauto,einem Citroen,der extra verlaengert wurde,fuhr Honecker zu seinem
Buero.
Der Tag war,wie immer durchgetakt und um 10 h stand eine Sitzung des ZK auf der Liste.
Die Sitzung hatte Honecker selbst einberufen und auch die Tagesordnung festgelegt.
Als die Teilnehmer vollstaendig versammelt waren,eroffnete er die Sitzung und wollte den
ersten Punkt eroertert wissen.
Da meldete sich Herr Stoph,der Vorsitzende des Ministerrates war und wollte,statt Punkt 1
der Tagesordnung ueber den Ruecktritt Honeckers diskutieren.
Fuer ein paar Sekunden war gespanntes Schweigen und alle warteten darauf,wie Honecker
reagieren wird.
Nach den paar Sekunden,ergriff wieder Honecker das Wort und wollte den Punkt 1 behandelt
wissen.Entweder hatte er absichtlich die Wortmeldung Stoph ueberhoert oder tatsaechlich die
Brisanz des Antrags nicht mitbekommen.
Aber nach dem Herr Mittag und spaeter Herr Mielke ebenfalls die Absetzung Honeckers diskut-
ieren wollten,gab er nach und erteilte jeden das Wort um ihre Meinung zu erfahren.
Alle,ausser er,stimmten dafuer,dass er zuruecktritt.
Honecker unterbrach die Sitzung,ging in sein Buero,sagte alle Termin ab,informierte seine Frau
und liess sich nach Wandlitz zurueckfahren.
Dort wechselte er die Kleidung und zog sein Jagdgewand an,nahm das Gewehr und verschwand
fuer viele Stunden im Wald.
Abends brannten noch lange die Lichter in seinem Haus.Er wurde von niemanden angerufen
und auch er rief niemanden an.
Naechsten Tag,wurde die unterbrochene Sitzung wieder aufgenommen und alle,einschliesslich
Honecker,stimmten seinem Ruecktritt zu.
Neuer Staatsratsvorsitzender wurde Egon Krenz,dem er sein Buero und den Schluessel zum
Tresor ubergab.
Am 18.10.1989 wurde seine Ruecktrittserklaerung verlesen und war damit ein Kapitel der ost-
deutschen Geschichte abgeschlossen.
Damit konnte man allerdings nicht den Buchdeckel ueber die Person Honeckers zuklappen.
Die beschaeftige in der nachfolgenden Zeit,Regierungen,Gerichte und Aerzte bis zu seiner Ab-
reise nach Chile.
Der Aufprall des Dachdeckers war heftig und nicht unbedingt alternativlos.
Jock