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Autor Thema: Wien, Wien, nur du allein ...  (Gelesen 12334 mal)

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Re: Wien, Wien, nur du allein ...
« Antwort #135 am: Oktober 17, 2021, 14:52:42 »

Zitat
Von einem reschen Salzstangerl traeume ich schon lange,aber auch von einer Schaum-
rolle und einem Punschkrapfen.


Sack!  ;)
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Seeteufel

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Re: Wien, Wien, nur du allein ...
« Antwort #136 am: Oktober 17, 2021, 16:59:10 »

Eine saftige Stelze im "Englischen Reiter" könnte mir auch gefallen .... seufz
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Jock

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Re: Wien, Wien, nur du allein ...
« Antwort #137 am: Oktober 17, 2021, 19:01:39 »

Zum Englischen Reiter

"Schweizer Haus","Zum Walfisch","Der Eiserne Mann","Wieselburger Bierinsel" und
auch "Zum Englischen Reiter",sind bekannte Gastrobetriebe im Wiener Prater.

"Zum Englischen Reiter" ist eines der aeltesten Lokale von Wien und blickt auf eine
200-jaehrige Tradition zurueck.

Ein Familienbetrieb,der Wiener Kueche pflegt und wo der Beisitzer,seine Mutter,Sohn
und Tochter,sowie zwei Ex-Frauen das Werkl in Betrieb halten.

Der Name stammt tatsaechlich von Reitern aus England,die vor 200 Jahren dort
uebernachtet haben.

England gilt als die Mutter des Reitsportes, der Dressur und des Kunstreitens.

Die Kunstreiter und ihre Pferde zogen durch den Kontinent und veranstalteten Gast-
spiele,die sich als Publikumsmagnet erwiesen.
Besonders bei Militaerangehoerige ,aber auch beim Adel waren die Auffuehrungen
interessant.Natuerlich konnte auch das gewoehnliche Volk die Auffuehrungen be-
suchen.

1804 stellte ein Herr Christoph de Bach einen Antrag,im Prater eine Reithalle zu
bauen um dort der Jugend in allen gymnastischen und altritterlichen Uebungen auf
dem Pferd zu unterrichten.
Fuer die Genehmigung musste er 4 Jahre warten.Eine weltrekordverdaechtige kurze
Zeitdauer,wenn man das mit dem Verfahren fuer den Lobautunnel vergleicht,fuer den
bereits 1994 Plaene gezeichnet wurden und bis heute noch kein Spatenstich erfolgt
ist.

Der Architekt Joseph Kornhaeusel errichtete eine hoelzerne Halle,die ein riesiges
Kupferdach kroente.
Da der Herr de Bach selber auf Tourneen ging,vermietete er seine Halle eben den
englischen Kunstreitern,aber auch Feuerschluckern,Jongleure,Seiltaenzern und Baeren-
fuehrer.

Als Herr de Bach starb,vererbte er seiner Witwe 28 Pferde und sie fuehrte den Circus
mit ihrem neuen Lebensgefaehrten weiter.

Nachdem das Kunstturnen und Pferdedressur mit der Zeit als Attraktion verlor,wurde
in spaeteren Jahren die Reithalle abgetragen und um 1960 an der Stelle eine Bowling-
halle errichtet.

Lieber Seeteufel,ich weiss wirklich nicht,was ich dir angetan habe,weil du mit mit
dem Wort "Stelze", Salz in meine Wunden streust.

Jock
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Seeteufel

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Re: Wien, Wien, nur du allein ...
« Antwort #138 am: Oktober 17, 2021, 20:28:03 »

Lieber Seeteufel,ich weiss wirklich nicht,was ich dir angetan habe,weil du mit mit
dem Wort "Stelze", Salz in meine Wunden streust.

Danke für deinen umfangreichen Bericht. Ansonsten - ich wollte doch nur mal ein netter Seeteufel sein ... aber ich bin irgendwie untalentiert.



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Jock

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Re: Wien, Wien, nur du allein ...
« Antwort #139 am: Oktober 18, 2021, 20:11:56 »

Ich muss noch erklaeren,warum ich einen Dufflecoat - Mantel haben will.

Er oder Ich - die Stimme meiner Ex-Frau war schneidend,forderte eine sofortige Entscheidung und liess,meinen Einwand,"ich schlaf noch mal drueber",nicht zu.

Ich entschied mich fuer sie.

Aber ich bin mir nicht sicher,ob sie mir das je verziehen hat.Schweren Herzens
ueber gab ich meinen Dufflecoat der Altkleidersammlung.

Der Dufflecoat ist nicht nur ein Mantel.Er gewann einen ganzen Weltkrieg und da-
fuer wurde sein Traeger(Bernard Montgomery),zum Generalfeldmarschall ernan-
nt und in den erblichen Adelsstand erhoben.

Ohne Dufflecoat haette er das nie  erreicht.

Er hat eine Kapuze,ist warm und bequem und hat in seinen Taschen Platz fuer ein-
en Flachmann.
Ausserdem ist er zeitlos und es gibt ihn in verschiedenen Farben.

Nachteil - er ist relativ teuer.Bei Burberry kostet das gute Stueck fast 1.500 Euro,
hat allerdings ein schottisch-gemustertes Innenfutter,das sich einst auf dem Tartan,
eines um 1687 ausgestorbenen schottischen Geschlechts,wiederfindet.

Unterm Dufflecoat passt ein grobgestrickter Rollkragenpullover oder kariertes Hemd.

Das Beinkleid kann gerne aus Schnuerlsamt sein,doch es soll eher eng geschnitten
geschitten worden sein.

Ich weiss,bei der Schnuerlsamthose,scheiden sich die Geister.

Die einen haben ein lebenslanges Trauma davon getragen,weil man sie als Knabe
in eine Schnuersamthose gesteckt hat.Psychiater koennen ein Lied davon singen,aber
andererseits gibt es kein maennliches Mitglied der englischen Koenigsfamilie,die nie
eine Schnuerlsamthose getragen hat.

Ein weiteres Beispiel:

Woody Allan waere nie beruehmt geworden,ohne Schnuerlsamthose.

Gerade aeltere Herren,wie ich, lieben die Schnuerlsamthose,auch oder gerade des-
wegen,weil bald der Kniebereich ausgebeult ist und das den Vorzug hat,dass man
von liebestollen,rassigen Frauen nicht belaestigt wird.

Herren in Schnuerlsamthosen wird bereitwillig Platz im oeffentlichen Verkehrsmitteln
angeboten und es gibt keine Diskussion bei der Frage nach Seniorenermaessigung.

Jock

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Seeteufel

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Re: Wien, Wien, nur du allein ...
« Antwort #140 am: Oktober 18, 2021, 21:21:32 »

Lieber Jock, du hättest auch "Blumenkohlbindfadenjacke" schreiben können, ich hätte nicht weniger gerätselt.

Aber Google konnte mir etwas helfen:
https://www.diepresse.com/709253/eine-kurze-geschichte-der-schnurlsamthose

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Jock

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Re: Wien, Wien, nur du allein ...
« Antwort #141 am: Oktober 22, 2021, 10:15:59 »

Der Mohr zu Wien

1929 ist er in die Firma eingetreten und war seither nicht mehr wegzudenken.

Tag und Nacht,rund ums Jahr stand er dem Unternehmen zur Verfuegung.Nie nahm
er Urlaub oder stellte Lohnforderungen.

Doch jetzt hat man ihn entlassen.Bald ist er vergessen und nur die ganz Alten werden
sich noch an ihn erinnern.

Die Rede ist vom Mohren der Firma Julius Meinl.

Im neuen Firmenlogo erinnert nur seine Kopfbedeckung an ihn,der Kopf selbst ist ver-
schwunden.

Damit hat man sich einer Zeitstroemung unterordnet,was ich ein bisschen als ueber-
zogen erachte.

Gerade in Wien haben Mohren ein hohes Ansehen bei Hofe genossen.Waren Prinzen-
erzieher oder Spielgefaehrte von Prinzessinen.Alles vergessen ?

Oefters haben sie auch fuer Volksbelustigung gesorgt,wenn sie hingerichtet wurden.

Der Gemeinderat diskutiert die Umbenennung von der Kleinen-und Grossen Mohren-
gasse,als gaebe es keine anderen Probleme.
Die Apothekenbesitzerin "Zum schwarzen Mohren",eine der aeltesten Apotheken von
Wien,sucht einen neuen Namen.

Wie waer's mit "Apotheke zum afro-amerikanischen Freund " ?

Damit sind wir schon in den USA.

Dort herrscht gebietsweise noch Rassismus.Der weisse Mann als Sklavenhalter einer
Farm,der gerne mal teeren und federn liess,wenn einer der Neger abhauen wollte,
wurde sogar noch Praesident und sein Konterfei ziert den Mount Rushmore.

600 Sklaven soll er gehalten haben und mit einer Sklavin konnte er ein paar Kinder
zeugen.

Weg mit dem Kerl,egal ob er ein wichtiger Verfasser der US Verfassung war oder
nicht.

Der Platz fuer das herausgesprengte Konterfei wird nicht lange frei bleiben,denn der
Ex-Praesident Donald Trump meldete schon Anspruch an.

Nimmt in den USA die Entrassisierung Fahrt auf,wird auch die Firma KFC nicht ver-
schon bleiben und wird ihr Firmenlogo,aehnlich wie bei Julius Meinl,aendern muessen.

Vom Kopf des Colonel Sanders wird nur der markante Spitzbart bleiben,vielleicht
ein Stueck vom Krueckstock,jedenfalls der seltsame Halsschmuck.

Jock











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Jock

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Re: Wien, Wien, nur du allein ...
« Antwort #142 am: Oktober 27, 2021, 07:47:11 »

Der Friedhof der Namenlosen

"Griass eich,hobt's es an Sorg fir mi ?" hin und wieder wurde diese Frage vom
Totengraeber Josef Fuchs an die groesseren Tischlereien gerichtet.

Da wusste man,es ist wieder eine namenslose Leiche von der Donau angeschwem-
mt worden und musste am Friedhof der Namensosen bestattet werden.

Der Friedhof der Namenlosen ist in der Hinsicht einzigartig,weil nur in der Donau
Ertrunkene,dort beerdigt wurden.

Man haette sie einfach nur verscharren koennen,doch jeder wurde in einem schlichten
Holzsarg in die Grube gelassen und darauf ein Holzkreuz errichtet,wo statt eines
Namens ,nur "Unbekannt" draufstand.

Der Friedhof liegt weit ab,von eine "bewohnbaren" Gegend.Draussen am Albener
Hafen,ein tristes Gewerbegebiet,wurde das Grundstueck zur Verfuegung gestellt und
vom Herrn Josef Fuchs ehrenhalber betreut.

Dafuer bekam er auch das Goldene Verdienstzeichen des Landes Wien ueberreicht.

Friedlich konnten die Bestatteten nicht ruhen,denn nach 1918 wurden sie aus den
Saergen gestampert und diese zusammen mit den hoelzernen Kreuzen,von den
Wienern in ihren Wohnungen verheizt.

Darauf hin,machte die Stadt Wien ein paar tausend Schillinge von der sagenum -
wobenen "Rathausmilliarde" locker und liess eiserne Kreuze anfertigen und stellte
sie bei den Graebern auf.

Heute gilt der Friedhof als stillgelegt,denn seit 1940 wurden offiziell keine Bestatt-
ungen mehr vorgenommen.Aber so genau weiss man es nicht.

Jedenfalls werden heute aufgefundene Leichen aus der Donau,die man nicht indent-
ifizieren kann,am Wr.Zentralfriedhof beerdigt.

In ein paar Tagen ist Allerheiligen und Allerseelen und die Friedhoefe von Wien sind
stark besucht.

Nur der Friedhof der Namenlosen bleibt leer.Niemand der ein Blumengebinde aufs
Grab legt,niemand der eine Kerze anzuendet.

Die einzige Regung erfolgt bei den Totenvoegel,die ihr Gefieder aufplustern.

Jock
« Letzte Änderung: Oktober 27, 2021, 07:49:58 von Jock »
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Jock

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Re: Wien, Wien, nur du allein ...
« Antwort #143 am: November 06, 2021, 08:04:26 »

Der Tribut

Vor ca.2.800 Jahren machten sich Buerger aus Tyros auf,um der engen,kleinen,von verschiedenen Machthabern,gebeutelten Stadt zu entfliehen und gruendeten die Metro-
pole Karthago.
Da sie die Buergerrechte nicht aufgaben(oder konnten),blieben sie Tyroser und waren tributpflichtig.

Auch als,Karthago gross und maechtig geworden war,vergleichbar mit den Glitzer-
staedten heute in den Emiraten,ja als Grossstadt galt mit ihren 400.000 Einwohnern
und nochmals 100.000 im Umland,machten sich jaehrlich eine Abordnung der Stadt-
verwaltung von Karthago auf dem Weg,um den Tribut nach Tyros zu ueberbringen.

Gold,Silber,Juwelen,kostbare Stoffe und ein paar Jungfrauen wurden geliefert und
jedes Jahr,versuchte die Abordnung eine Erleichterung der Tributzahlung zu erreich-
en.

Vergebens !

Die Stadtvaeter von Tyros,verwiesen auf das "pacta sunt servanda" und hielten sich
die Ohren zu.

Auch Wien ist Empfaenger von Tributen,die die Bundeslaender seit 1959 zu erbringen haben.
Im Vergleich mit dem Wert des Tributs der Karthager,ist der Wert des Tributs,den die
Bundeslaender erbringen muessen,geradezu mickrig.

Eine Fichte als Weihnachtsbaum ist es jedes Jahr.Die wird vor dem Rathaus aufgestel-
lt,geschmueckt und mit Lichterketten illuminiert.

Es ist bekannt,dass Wien bei den Bundeslaendern keinen guten Ruf hat,denn Wien
ist rot und die meisten Bundeslaender schwarz regiert.

Gerade heuer zeigt sich die Verachtung der Bundeslaender,via Weihnachtsbaum,be-
sonders deutlich.

Wenn der Tieflader mit dem Baum am Rathausplatz eintrifft,haben ihn "Weisse Maeuse"
begleitet,Blaulicht vorne und hinten und der Herr Buergermeister (frueher mit markant
roter Nase,die nicht von der Kaelte hervorgerufen wurde) empfaengt die Ladung.

Flugs wird der Baum mit Hilfe 2er Kraene aufgestellt und Entsetzen macht sich breit.

Das soll ein Weihnachtsbaum sein ?

Die Presse bezeichnet das 25 m hohe Ding als Klosettbuerste,als Rohrreiniger und
als Trauerfichte.
Einem Leserbrief zufolge,waere es besser,den Kran,der den Baum aufgestellt hat,zu
schmuecken und mit der Lichterkette zu behaengen,damit wenigstens etwas an Weih-
nachten erinnert.

Da muss die Stadtgaertnerei eingreifen.150 Aeste werden dem Baum montiert und
wenn er erstrahlt,ist aller Aerger vergessen.

Jock

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Jock

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Re: Wien, Wien, nur du allein ...
« Antwort #144 am: November 10, 2021, 07:45:51 »

Was ist ein Graetzel ?

Graetzel sind Bezirksteile,wo es lokale Infrastrukturen fuer den taeglichen Bedarf gab.

Also,der Lebensmittelhaendler,neben dem Installateur,vis a vis der Elektrohaendler,
wo man den ersten Fernseher kaufte,dann der Konditor,der Farbehaendler,das Damen-
modengeschaeft u.s.w.

Entlang der Strassenbahnlinie fanden sich jenseits des Guertels das Maerzgraetzel,
Breitensee,Baumgarten und die Endstation Huetteldorf.

Oder um den Lebenslauf auszudruecken,erst die Berufsschule,dann der Markt,die
Kaserne,das Troepferlbad,das Hanuschspital,der,der dort verpfuscht wurde,eine Station weiter das Altersheim,noch eine weitere Station,der Baumgartner Friedhof.

Staedtebaulich genial - kurze Transportwege.

Huetteldorf ist der Flaschenhals,den man passieren muss,wenn man Wien Richtung
Westen verlassen will.Zu meiner Zeit (1960-62)nur auf der Bundesstrasse Nr.1.

Der Pfropfen im Flaschenhals war das Kaufhaus "Adolf Re..." ,wo ich die kaufmaenn-
ische Lehre absolvierte.
War aber fuer alle Beteiligten eine Tortur,besonders fuer jene junge Dame,der ich
etwas zu verkaufen hatte.

Betrat man das Geschaeft,war links die Damenabteilung.Unterwaesche,Blusen,Buesten-
halter,Strapsguertel.
Danach die Abteilung fuer Kleiderstoffe,angeschlossen die Kurzwarenabteilung,da-
hinter Wollknaeuel,Strickzubehoer und Naehutensilien.

Links vom Eingang die kleine,aber feine Herrenabteilung mit Hemden,Krawatten,
Manschettenknoepfe,Sockenhalter,Hosentraeger,aber auch "Morgenmaentel" die als
"Dressinggown" bezeichnet wurden.
Renner waren Masshemden mit eingesticktem Monogramm,die mir Begegnungen mit
saturierten Familien mit eigenen Gruenderzeitvillen ermoeglichten.

Dann kam "meine" Abteilung - die Bodenbelagsabteilung mit Teppiche und Linoleum.

Da war ich Meister im Zuschnitt,denn der Raumplan war spiegelverkehrt auf die Rueck-
seite des Belags einzuzeichnen und danach zuzuschneiden.
Einrollen,Schnuerl drum,Flaeche ausrechnen und Gruess Gott.

Einmal versuchte es der Juniorchef.

Tags darauf war konfrontiert mit der empoerten Kundschaft.

Mein absolutes Waterloo erlebte ich an einem Goldenen Sonntag.Der Silberne und der
Goldene Sonntag waren verkaufsoffene Sonntage an den letzten 2 Sonntagen vor
Weihnachten und die Geschaefte waren bummvoll.Nur die Bodenbelagsabteilung war
ein stiller Ort.

Da hoerte ich von der Chefin den Befehl,dass ich in der Damenabteilung aushelfen
soll.

Die erste Kundin,um die 19 Jahre alt,wollte einen Buestenhalter kaufen.Die Verlegen-
heit beiderseits war gross.Sie bekam rote Ohren,als sie ihren Wunsch aussprach und
ich auch,als ich ihn hoerte.

Ich stehe nicht an,mich fast 60 Jahre danach recht herzlich um Entschuldigung zu
bitten und mir meine Hilflosigkeit und Unkenntnis in dieser Angelegenheit nachzu-
sehen.

Kaeme sie heute,mit ihren 19 Jahren zu mir,wuerde sie ueberrascht sein,welche Fach-
kenntnisse ich angesammelt habe,die zu einer gediegenen Beratung fuehrte und ich
selbstverstaendlich zur Verfuegung stehen wuerde,ihr bei der Anprobe behilflich zu
sein.

Ich sehe,ich bin abgeschweift - Entschuldigung.

Jock
 









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norwegerklaus

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Re: Wien, Wien, nur du allein ...
« Antwort #145 am: November 10, 2021, 14:12:09 »

Zitat
Kaeme sie heute,mit ihren 19 Jahren zu mir,wuerde sie ueberrascht sein,welche Fach-
kenntnisse ich angesammelt habe,die zu einer gediegenen Beratung fuehrte und ich
selbstverstaendlich zur Verfuegung stehen wuerde,ihr bei der Anprobe behilflich zu
sein.
Ich sehe,ich bin abgeschweift - Entschuldigung.
Hilfsbereit wie immer! :D
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Ich bin ganz sicher kein Grüner, lebe aber schon seit Jahrzehnten genügsam in und mit der grünen Natur!

Jock

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Re: Wien, Wien, nur du allein ...
« Antwort #146 am: November 11, 2021, 09:59:40 »

Once Upon a Time

Es war der 30.November 1959 als mich mein damaliger Lehrherr in finsterer Nacht
aus dem Geschaeft warf und bemerkte,dass ich nicht fuer einen menschlichen Beruf
geeignet sei.

Das war Wasser auf die Muehlen meiner Verwandtschaft,die immer schon der Meinung
waren,dass ich das schwarze Schaf der Familie sei,und oberdrein arbeitsscheu und
faul bin.Selbst zum Sonntaggottesdienst muss man ihn zwingen.

Damit war klar,dass meine Zeit im Waldviertel beendet ist und ich nach Wien gehen
musste.
Ich kam als Landei und ging als Mann von Welt.

Doch bis dahin waren einige Huerden zu meistern und verlor auch meine Unschuld.

Ich fand eine neue Lehrstelle bei einer strengen,resoluten Inhaberin auf der Linzer-
strasse 407.
Alle,die dort taetig waren hatten nur Vornamen - Frau Gertrude,Frau Helga,Frau Hanni,
Frau Guggi,die auch Tochter der Inhaberin war und Herr Adolf der eine Sohn.

Oberhalb der Geschaeftsraeumlichkeiten,die Patrizierwohnung (8- 10 Zimmer) und
wunderbar nobel eingerichtet.

Eines Tages wurde ich zum Mittagstisch eingeladen,was fuer mich eine Herausforder-
ung bedeutete.
Wir im Waldviertel waren immerhin schon soweit zivilisiert,dass wir wussten,den Tel-
ler nicht abzuschlecken und auch nicht ueberlaut zu Schmatzen.Ich wusste auch,dass
es unschicklich ist,das schwere Silberbesteck in der Tasdche des Sakkos verschwinden
zu lassen.

Aber,was macht man mit der Serviette ?Wie legt man das Besteck richtig ab? u.s.w.

Ich wollte mich ja nicht blamieren und setzte mich bangen Herzens zu Tisch.

Die Koechin trug die Suppe auf,dann den Braten und zuletzt Kaffee und Torte.

Die Suppe meisterte ich problemlos,auch die Verwendung der Serviette war keine
schwere Uebung,denn ich lugte nach Frau Guggi und Herrn Adolf,wie die mit dem
Ding umgingen.
Dabei lernte ich,dass man die damasterne Serviette nicht in den Kragen stopft und
als Laetzchen verwendet.

Der Rinderbraten,auf dem Punkt genau von der boehmischen Koechin aus dem Rohr
gehoben,war butterweich und mundete ausgezeichnet.Selbst die Knoedeln waren per-
fekt.

Da beim Verzehr kein Malheur passierte,bekam ich Oberwasser und war sicher,die
Pruefung mit Bravour zu bestehen.

Zu frueh gefreut - das Unglueck passierte bei Kaffee und Torte.

Mir fiel von der Zigarette etwas Asche auf das bluetenweisse Tischtuch.Ich versuchte
diskret,die Asche auf den suendteuren Perserteppich zu schnippen,doch es blieb ein
schwarzer Strich.

Was jetzt ? Vorerst konnte ich mit der Hand das "Verbrechen" abdecken aber dann
musste ich wieder zur Arbeit.
In meiner Verzweiflung stellte ich einfach den Aschenbecher drauf und verabschied-
ete mich artig.

Naechsten Tag musste ich mir von der Koechin anhoeren,dass ich eine Sauerei hinter-
lassen habe und wurde daher auch nie mehr wieder zum Mittagstisch gebeten.

Die naechsten Monate bis zu meinem Ausscheiden,labte ich mich von Wurstsemmel
und Cola.

Was fuer ein Unterschied an einem gewoehnlichen Wochentag bei der Nahrungsauf-
nahme zwischen dem wohlhabenden Buergertum und einem armen Hans Wurst.

Jock





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Jock

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Re: Wien, Wien, nur du allein ...
« Antwort #147 am: November 13, 2021, 09:54:45 »

Nochmals ein Versuch,ein Graetzel (Graetzl) zu erklaeren.

Als Wien eine roemische Garnisonstadt war,waren Frauenspersonen innerhalb der
Anlage verboten.

Das kann mit der Zeit langweilig sein und so errichteten Offiziere der Legionaere aus-
serhalb der befestigten militaerischen Anlage,private Wohnhaeuser,wo auch ihre
Gattinnen oder Liebchen wohnen konnten.
Da Luxus,wie Wasserleitung,Fussbodenheizung und Wasserklosett,nicht fehlen durften,
wurden die Privathaeuser eng an eng bebaut,um die Ver - und Entsorgung leichter
zu gestalten.
Rundherum siedelten sich Handel und Gewerbebetriebe an.

Das erste Wiener Graetzel war entstanden.

Jahrhunderte spaeter,die Innenstadt war mit einer Stadtmauer umgeben,entwickelten
sich die umliegenden Doerfer zu Graetzeln.

Meist um die die maechtig erscheinende Kirche,die der Mittelpunkt war und durch
die sonntaegigen Messen,wo die Bewohner sich versammelten und damit als potentielle
Kunden wahrgenommen wurden,eroeffneten Hufschmiede,Wagner,Korbflechter,Greissler
aber auch Gasthoefe.

Die Graetzeln,Breitensee,Baumgarten,Huetteldorf,Stuwerviertel,Servitenviertel u.s.w.
hatten,bevor staedtische Massenverkehrsmittel in Einsatz kamen,relativ wenig Kontakt
zueinander.
Damit enstanden lokale Eigenheiten der Bewohner,die sie ihr Leben lang nie mehr ab-
legen konnten.

Damit kommen wir zu dem eingewanderten "Meidlinger L",das vorwiegend in den sued-
lichen Arbeiterbezirken daheim ist.

Vom Wienerberg,Spinnerin am Kreuz,Laaerberg suedwaerts,eroeffnete sich eine weite
Ebene,wo die Lehmgruben und Ziegelfabriken standen.
Die Produktion von Ziegeln war personalintensiv und musste,zum Wohl des Baron Dra-
sche,auch billig sein.

Das Personal fand er aus Boehmen und Maehren,die als Mitbringsel das "dicke L "ein-
schleppten.
Wer konnte entfloh den sklavenaehnlichen Arbeitsverhaeltnissen und siedelte sich in
Favoriten und Meidling an.Zwar lernten die Arbeiter Deutsch,doch das "dicke L "kon-
nten sie nicht ablegen und ist heute noch umgangssprachlich zu hoeren.

Das Meidlinger L entsteht,wenn bei der Artikulation eines "L",die Luft aus dem Mund
an der Seite der Zunge vorbei,deren Spitze an den Zahndamm gepresst wird,entstroemt.

Leute,die das Meidlinger L verwenden,werden von den "Schoenbrunner - Deutsch"
Sprechenden sofort,der Proletenklasse zugeordnet.

Voellig zu Unrecht,denn auch der geachtete Ex-Bundeskanzler Dr.Franz Vranitzky kann
sein Meidlinger L nicht und nicht ablegen,was seinem perfekten Englischreferaten vor
dem Internationalen Waehrungsfonds,besondere Beachtung einbrachte.

Aber auch weitere Persoenlichkeiten verwenden das Meidlinger L,wie z.B. der Ex- Fuss-
ball Nationaltrainer,Herr Krankl oder der Ex- Box-Europameister Hans Orsolics.

Im Song des Hansi Orsolic's " Mei potschertes Leb'n" (aufrufbar bei YT) kommt besonders
diese sprachliche Eigentuemlichkeit zum Ausdruck.

Jock








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Seeteufel

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Re: Wien, Wien, nur du allein ...
« Antwort #148 am: November 13, 2021, 23:35:02 »

Danke Jock .... höchstens noch zwei, drei Jahre und ich verstehe alles. :D

https://www.youtube.com/watch?v=JBB_Mk3M_pM
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Jock

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Re: Wien, Wien, nur du allein ...
« Antwort #149 am: November 26, 2021, 11:39:55 »

Einmal noch der Mittelpunkt sein.

Die letzte Gelegenheit,einmal noch der Mittelpunkt einer Versam-
mlung zu sein,ist das Begraebnis.

Und "a scheene Leich" laesst sich der Wiener was kosten.

Das wissen auch die Beamten der Wr.Staedtischen Bestattung und
werden kein bisschen rot,wenn sie Rechnungen mit 4-stelligen Be-
traegen ausstellen.

Gleiches Denken haben aber auch die Herrschaften der Erzdioezese,
die penibel die Leistungen der Kirche auflisten und damit kundtun,dass
auch die Kirche an irdischen Guetern Interesse hat.

Soundsoviel dag an Weihrauch,1/8 l Weihwasser,6x Glockengelaeut
und wenn es etwas besseres sein soll,schlaegt auch die Bummerin an,
die sonst nur bei verstorbenen Bundespraesidenten und Ex-Formel 1-
Weltmeister zu hoeren ist.

Wie ueberhaupt ein Bundespraesident sich keine Gedanken ueber die
Kosten seiner Beerdigung machen muss.
Vater Staat uebernimmt alle Auslagen bis hin zur Grabpflege.

Normalsterbliche sollen schon finanziell vorsorgen,dass man nicht ein-
fach verscharrt wird,wie bei Mozart.

Um der Kosten zu entgehen,kann man seinen Koerper der Med.Uni ver-
machen,die fuer Ueberfuehrung und Beerdigung sorgt.
Aber es empfiehlt sich,das Informationsblatt genau bis zum Schluss zu
lesen.
Da steht,dass wohl ein Unkostenbeitrag zu leisten ist,der in Wien sich
mit 990 Euro in der Boerse niederschlaegt.Anderswo sind es 1.400 Euro.

Eine Unterschrift,und alle diesbezueglichen Sorgen sind dahin.

Kommen jedoch spaeter doch Bedenken und ist man sich unwohl bei
dem Gedanken,dass am Seziertisch junge Medizinstudentinnen,Witze
ueber das mickrige Ding da unten reissen,kann man die Verfuegung widerrufen.

Wurde ein Testament gefunden,hat ein Notar die Sache am Hals.

Mit den Jahren ist er so abgebrueht,dass er ohne Regung zusehen kan-
n,dass es,nach Verlesen des Testaments,eingefleischte,unverbruech-
lich scheinende Familienbande je zerreisst und eine ewig waehrende Feindschaft,zur Freude der Anwaltskanzleien,an die Stelle getreten ist.

" Do muass jo no a Goed sein"Und" Host du des Sporbiachl g'funden",
sind oft gehoerte Aeusserungen der Hinterbliebenen anlaesslich des
Leichenschmauses.

Vor einiger Zeit ist in unserer Stadt eine bekannte alte Dame verstorb-
en.
Die Tochter die sie zuletzt betreut hat,verstaendigte die Familie vom Ab-
leben und alle,alle kamen zur Bestattung.
Die Soehne aus Pattaya und Bangkok,und die Toechter,die im Norden
verheiratet sind.Selbstverstaendlich alle mit ihren Anhang.

Die alle muessen natuerlich verkoestigt werden,auch die dutzendweise
angereisten Moenche.

Zu beobachten ist,dass die Trauermonologe der Moenche puenktlich um
11 h enden und sie sich den dargereichten Speisen widmen.
Anschliessend besteigen sie wieder die Pick-ups und lassen sich zu dem
verdienten Mittagsschlaefchen fahren.

Auch meine Frau trauerte heftig mit.

Nachdem es ist dunkel geworden war,schluepfte sie ins Kleine Schwarze
und eilte dem Trauerhaus zu.

Stunden spaeter,als sie wiederkam,war sie aufgekratzt und erzaehlte
mir stolz,wieviel sie beim Kartenspiel gewonnen hat.

Jetzt weiss ich,was passiert,wenn ich das Zeitliche segne.

Jock









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