vom: 04. Januar 2019, 11:56:32 »
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Der Hutnadelerlass in Wien
Fast nicht zu glauben,dass eine 10 Jahre alte EU - Verordnung ueber eine bestimmte Pizza,
einen Herrn Kern,derart aus dem Gleichgewicht bringt,dass er sogar die bestehende EU ab-
schaffen will.
Da kann ich mir gut vorstellen,was fuer einen Aufstand er gemacht haette,als der Hutnadel-
erlass verfuegt wurde.
1880 hatte Wien eine Einwohneranzahl von 750.000.Bis 1918 wuchs diese bis auf 2,3 Mio Ein-
wohnern an.
Nicht nur die Stellung Wiens als Haupt-und Residenzstadt war fuer den Zuwachs verant-
wortlich,sondern auch die Eingemeindung umliegender Staedte,wie Klosterneuburg,Schwechat
oder Floridsdorf.
Spaeter,im Laufe des Krieges kamen noch hunderttausende Fluechtlinge,Vertriebene und
Verwundete hinzu.
Diese Entwicklung stellte die Stadt vor grosse Herausforderungen,denn es musste gesorgt
werden,dass genug Wohnraum vorhanden ist,die Lebensmittelversorgung klappt und die
Menschenmassen transportiert werden koennen.
Bis zum Kriegsbeginn 1914 konnten die Stadtvaeter den Herausforderungen noch halbwegs
gerecht werden.
Aber nach der Kriegserklaerung sank jedoch die Bauleistung gegen Null und die Schatten des
Krieges legten sich mehr und mehr auf die Stadt.
Je laenger der Krieg andauerte,brach die Lebensmittelversorgung aus der Kornkammer Ukraine,
der Fleischkammer Ungarn und aus der umliegenden Landwirtschaft,ein.
Die umliegenden Bauern verdienten sich eine goldene Nase,indem sie zu ueberhoehten Preisen
ihre Produkte an die "Hamsterer" verkauften,anstelle sie den normalen Versorgungskanaelen
zur Verfuegung zu stellen.
Da bald nach Kriegsausbruch die Industrien mehr und mehr auf Kriegswirtschaft umgestellt
worden waren und davon war auch die Lebensmittelindustrie betroffen,deren Produktion zu gros-
sem Teil der Verpflegung der kaempfenden Truppen zur Verfuegung gestellt wurde,war Schmal-
hans in den Kuechen allgegenwaertig.
Frauen hatten ohnehin wenig Zeit,sie in der Kueche zu verbringen,da sie in den Fabriken die
Maenner,die im Feld waren,ersetzen mussten.Der Frauenanteil in der Wirtschaft war in diesen
Jahren sehr gross und nahm nach Kriegsende wieder rapide ab.
Dann hiess es wieder "Frauen zurueck an den Herd".
Bis 1914 war die Stimmung in der Bevoelkerung ausgezeichnet und man war es auch noch kurz
als ein unannehmbares Ultimatum den Krieg ausloeste und Truppen ausgehoben wurden.
Die Mariahilferstrasse war mit Girlanden geschmueckt und allerorts hoerte man den Schlacht-
ruf" Serbien muss sterbien" oder " Jeder Schuss,ein Russ,jeder Tritt,ein Brit".
Beim Abtransport zur Front rief man sich noch begeistert zu " zur Weihnacht san ma wieder da-
hoam".
Keiner dachte daran,dass der Krieg vier Jahre dauern wuerde und mit einer Niederlage endet.
Doch bald darauf kamen die ersten Fluechtlinge und Kriegsversehrten an und verschaerften die
Wohn-Lebensmittel- und Transportprobleme.
Viele der Fluechtlinge waren Juden,was ein Spannungsfeld auftat und den,in der Stadt beheimar-
enden Antisemitismus,Auftrieb gab.
Jedoch diese und auch die Kriegsversehrten mussten irgendwie versorgt werden.
Die Stadt funktionierte das Parlament und die Universitaet,wie auch weitere oeffentliche Ge-
baeude zu Notschlafstellen um und errichtete zudem in den Flaechenbezirkten Simmering,
Favoriten und Meidling ausgedehnte Barakensiedlungen.
Die Massenausspeisungen von, immerhin 375.000 taeglich verabreichte Portionen,erfolgte in schnell
errichteten Hallen,wovon es 19 in Wien gab.
Nebenbei waren auch kirchliche und private Einrichtungen eingebunden,den Hunger nicht ueber-
hand kommen zu lassen.
260.000 Kriegsverwundete mussten ebenfalls versorgt werden,was in 7 Kriegsspitaelern,in 91
Hilfsspitaelern des Roten Kreuzes und 11 Notspitaelern,geschah.
Die Probleme beim Massentrasport waren ebenfalls eklatant.Die Verkehrsbetriebe hatten einfach
nicht genug Kapazitaet die notwendigen Leistungen zu erbringen.
Daher ergingen (erfolglos) Aufrufe,Uberfuellungen der Garnituren zu vermeiden und sich nicht
an jene Strassenbahngarnituren anzuhaengen,die die Verstorbenen transportierten.
Diese Garnituren fuhren meist zeitig in Frueh oder in der Nacht,trotzdem wurden sie von den
Schwarzfahrern gerne genutzt.
Die Verkehrsbetriebe haben angesichts des Umstandes,dass die Verstorbenen in den allermeisten
Faellen,ohnehin keine Fahrkarten haben,darauf verzichtet,Schaffner den Waggons mitzugeben.
Grosse Empoerung und Aufregung loeste jedoch der "Hutnadelerlass" aus.
Damals verliessen die Damen der oberen Staende ihre Wohnungen nur mit vollstaendiger Be-
kleidung.Dazu gehoerte selbstverstaendlich Hut und Handschuhe.
Ihre Hutcreationen waren jedoch nicht gegen Windboeen gefeit und damit die teuren Produkte
der Modistinnen nicht fortgeweht werden koennen,wurden sie mit langen Hutnadeln im Haar be-
festigt.
Bei Draengereien in der Strassenbahn,gab es daher lautes "Auweh" und " Bist deppat ?",wenn
durch die Nadel ein Auge verletzt oder ein Gesicht zerkratzt wurde.
Die Haeufung solcher Unfaelle zwangen die Stadtvaeter einen Erlass herauszugeben,worin der
Gebrauch von Hutnadeln verboten wurde.
Dagegen wurde das Buergertum rebellisch und erreichte,dass der Erlass entschaerft werden mus-
ste und fortan Hutnadeln dann erlaubt wurden,wenn die Nadelspitze gesichert werden konnte.
Der Hutnadelerlass war aber keine "Spezialitaet" der Wiener Stadtregierung.
Auch in Berlin gab es einen aehnlichen Erlass,der Hutnadeln verbot.
Traf ein Polizist eine Dame mit Hutnadel an,gab es eine Strafe von 60 Mark.
Und 60 Mark waren immerhin der Wochenlohn eines Arbeiters.
Jock